Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge bestimmen gemeinsam den Aufenthaltsort des Kindes (Art. 301a Abs. 1 ZGB). Dabei spielt keine Rolle, ob die Eltern zusammen oder getrennt leben, verheiratet oder geschieden sind, oder gar nie miteinander verheiratet waren. Will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf es der Zustimmung des anderen Elternteils, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
(a) Der neue Aufenthaltsort liegt im Ausland, oder (b) der Wechsel des Aufenthaltsortes hat erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil.
Ist der andere Elternteil nicht einverstanden, so entscheidet auf Antrag des wegzugswilligen Elternteils das Gericht oder die Kindesschutzbehörde. Diese Bestimmung des Zivilgesetzbuches ist auch als "Zügel-Artikel" bekannt (vgl. Art. 301a Abs. 2 ZGB).
In einem Urteil vom 7. Juli 2016 hat sich das Bundesgericht zu den Voraussetzungen eines Wegzugs eines Elternteils ins Ausland bzw. des damit verbundenen Wechsels des Aufenthaltsortes des Kindes eingehend geäussert. Die schriftliche Begründung liegt nun vor. Im besagten Entscheid ging es um unverheiratete, getrennt lebende Eltern mit einer gemeinsamen Tochter. Die Eltern haben die gemeinsame elterliche Sorge und betreuen die Tochter alternierend.
Die Mutter beabsichtigte, mit der Tochter ins Ausland auszuwandern. Der Vater widersetzte sich dem. Die örtliche Kindesschutzbehörde und danach das kantonale Obergericht hatten deshalb darüber zu entscheiden, ob die Mutter das Kind ins Ausland mitnehmen durfte, um dort einen neuen Wohnsitz zu begründen. Beide wiesen das Gesuch der Mutter ab. Diese wandte sich an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht weist in seinem Urteil darauf hin, dass nicht die Frage geklärt werden muss, ob es für das Kind vorteilhafter wäre, wenn beide Elternteile im Inland verbleiben würden. Die Behörden können einen Elternteil nicht zwingen, im Inland zu bleiben.
Gemäss Bundesgericht ist einzig entscheidend, ob das Kindeswohl besser gewahrt ist, wenn es mit dem auswanderungswilligen Elternteil wegzieht oder wenn es sich beim zurückbleibenden Elternteil aufhält. Es ist somit nur die Frage zu klären, ob es dem Kind besser geht, wenn es beim wegziehenden Elternteil oder beim anderen Elternteil im Inland verbleibt. Die Interessen der Eltern haben bei der Prüfung dieser Frage in den Hintergrund zu treten.
Ist geklärt, bei welchem Elternteil das Kind bleiben soll, sind in der Regel von den Behörden bzw. vom Gericht die Obhut und die Betreuungsanteile neu zu ordnen. Hatten die im Inland lebenden Eltern beispielsweise bisher die alternierende Obhut, d.h. betreuten sie das Kind mehr oder weniger je hälftig, so wird diese Betreuungsform (nur schon aus praktischen Gründen) kaum mehr möglich sein, wenn ein Elternteil ins Ausland wegzieht. Die zuständige Behörde oder das Gericht wird dann in der Regel die alleinige Obhut einem Elternteil zusprechen müssen. Die bisher gültige Betreuungsregelung muss der neuen Situation angepasst werden.
Für die Neuregelung der Betreuungsanteile (bzw. das "Eltern-Kind-Verhältnis" generell) ist gemäss Bundesgericht auf die persönlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kind, auf ihre erzieherischen Fähigkeiten und die Bereitschaft, das Kind in eigener Obhut zu haben und es weitgehend persönlich zu betreuen und zu pflegen, sowie auf das Bedürfnis des Kindes nach der für eine harmonische Entfaltung in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht notwendigen Stabilität der Verhältnisse, welches bei gleicher Erziehungs- und Betreuungsfähigkeit besonderes Gewicht erhält.
Im vorliegenden Fall wurde der Mutter die Mitnahme der Tochter ins Ausland auch vom Bundesgericht nicht erlaubt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die erzieherischen Fähigkeiten bei beiden Elternteilen in gleichem Mass vorhanden sind. Ausschlaggebend war für den Entscheid das Kriterium der Stabilität der Verhältnisse, das gegen den Wechsel des Aufenthalts des Kindes ins Ausland sprach (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 7. Juli 2016, 5A_945/2015, zur Publikation vorgesehen; vgl. auch NZZ vom 7. Juli 2016).
Lic. iur. Manuel Duss, Fachanwalt SAV Familienrecht (Zürich)