Den Medien konnte man in der Vergangenheit verschiedentlich entnehmen, dass das Bundesgericht bei getrennt lebenden Eltern die alternierende (gemeinsame) Obhut für die gemeinsamen Kinder praktisch zum Regelfall erklärt habe. Das trifft jedoch so nicht zu.
In einem Urteil vom 28. März 2023 hielt das Bundesgericht vielmehr folgendes fest (vgl. E. 5.4.2., Zitat):
"(...) Anders als dies bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Fall ist (Art. 296 Abs. 2, 298 Abs. 1, 298b Abs. 2 ZGB), handelt es sich bei der alternierenden Obhut nicht um den vom Gesetz vorgegebenen Regelfall. Vielmehr verpflichtet das Gesetz das Gericht bloss dazu, die Möglichkeit dieser Form der Betreuung zu prüfen, wenn ein Elternteil oder das Kind dies verlangt (Art. 298 Abs. 2ter ZGB). (...)"
Mit anderen Worten ist bei der gemeinsamen elterlichen Sorge zu begründen, weshalb davon abgewichen werden soll, während bei der alternierenden Obhut begründet werden muss, weshalb sie angeordnet werden soll.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Bundesgericht oder die kantonalen Gerichte der alternierenden Obhut grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen würden. Vielmehr wird sie in der Regel angeordnet, wenn beide Eltern erziehungsfähig sind und auch sonst die alternierende Obhut dem Kindeswohl entspricht.
Lic. iur. Manuel Duss, Fachanwalt SAV Familienrecht, Zürich